Ihr seid keine Sicherheit. Über Nazis und rechte Netzwerke in Sicherheitsbehörden in und um Leipzig
Seit Mai 2020 hat die Kampagne „Entnazifizierung Jetzt“ 850 Skandale gesammelt, die sich seit Gründung der Bundesrepublik in deutschen Sicherheitsbehörden ereignet haben. Auch in und um Leipzig gibt es eine Vielzahl sogenannter Einzelfälle. Beamt*innen fallen durch rechte Aussagen oder Aktivitäten auf oder bekennen sich gar als (Neo-)Nazis, Reichsbürger*innen, AfD-Mitglieder, Rassist*innen, Coronaleugner*innen oder Prepper*innen.
Die Vorfälle sind bundesweit, aber auch in Sachsen dabei so vielfältig wie besorgniserregend. Wir zeigen hier beispielhaft rechte Vorfälle in Sicherheitsbehörden in und um Leipzig auf, die wir zum größten Teil der Sammlung von „Entnazifizierung Jetzt“ entnommen haben.
Von: Prisma – Interventionistische Linke Leipzig
Rechte Propaganda und Taten
Angesichts der Vielzahl an aufgeflogenen rechten Chatgruppen scheinen Polizist*innen täglich rassistische, antisemitische und weitere menschenverachtende Sprüche und Bilder zu teilen. So zählte die Kampagne über 50 rechte Chatgruppen mit hunderten Teilnehmer*innen. Doch zeigen Beamt*innen ihr Gedankengut mittlerweile auch öffentlich in den sozialen Medien oder durch rechte Patches oder Aufkleber im Einsatz. So zeigt eine Kleine Anfrage der Linken-Politikerin Kerstin Köditz im sächsischen Landtag zeigt auf, dass sich im Juni 2015 ein Beamter der Polizeidirektion Leipzig rassistisch in einem sozialen Netzwerk äußerte. Gegen ihn wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
Mitte Dezember 2017 zirkulierte ein Foto des neuen Spezialfahrzeugs des sächsischen SEKs, dass eine Logo-Bestickung auf den Sitzen zeigt, die stark an die Ästhetik des Nationalsozialismus erinnert. Es wurden Zweige, stilisierte Adlerschwingen und eine Frakturschriftart verwendet. Das Innenministerium streitet zunächst ab, damit etwas zu tun zu haben und behauptet, der Hersteller Rheinmetall habe die Fahrzeuge einfach so ausgeliefert. Dann jedoch wird eingeräumt, dass das Landeskriminalamt seinerzeit Rheinmetall mit der Bestickung der Sitze beauftragt und gleich noch eine entsprechende Vorlage nachgeschoben hatte. Von Einsicht seitens des Innenministeriums oder Landeskriminalamts keine Spur: “Da hat sich 26 Jahre lang keiner dran gestört”, so LKA-Sprecher Tom Bernhardt.
Bei einer Demonstration gegen Rassismus in Wurzen trug ein SEK-Beamter ein Symbol des “Raben Odins” auf seiner Uniform. Das Symbol stammt aus der nordischen Mythologie und ist in rechten Kreisen sehr verbreitet. Im Februar 2018 erhielt der Polizist eine Disziplinarstrafe wegen Verstoßes gegen die Kleiderordnung. Es ist Polizist*innen verboten, zusätzliche Zeichen an ihrer Dienstkleidung anzubringen.
Anfang September 2020 retweetete die Polizei Sachsen einen Tweet, in dem vom “linken Pack” gesprochen wird. Später entschuldigte sie sich dafür.
Ende September 2020 wurde ein Leipziger Polizist vom Dienst suspendiert, da er sich in einem Chat rassistisch und rechtsextrem geäußert haben soll.
Alltagsrassismus und rechter Alltag
Chats, in denen Polizist*innen rechtes Gedankengut teilen, stehen nicht für sich allein. Sie sind verknüpft mit diskriminierenden bis hin zu rechten Einstellungen und Verhaltensweisen. „Racial Profiling“ ist beispielsweise eine rassistische polizeiliche Ermittlungspraxis. Personen werden hierbei nicht aufgrund eines konkreten Verhaltens, sondern allein anhand von rassifizierten Merkmalen, beispielsweise der Hautfarbe, als verdächtig eingestuft.
Laut einer Studie der Universität Leipzig erlebten viele der Befragten diese Kontrollpraxis in der Waffenverbotszone rund um die Eisenbahnstraße. Im Sommer 2022 sagte der Leipziger Polizeipräsident René Demmler im Stadtmagazin Kreuzer, dass keine Kontrollen wegen der Herkunft einer Person stattfänden: „Niemand wird wegen seiner Rasse kontrolliert.“ Weiterbildungen oder Sensibilisierungen der Leipziger Beamt*innen hinsichtlich „Racial Profiling“ gibt es bisher nicht.
Bei den zahlreichen Demonstrationen der „Querdenker*innen“ ließ das Vorgehen der Polizei gegen Gegendemonstrant*innen oftmals eine Ungleichbehandlung erkennen. Anfang November 2020 versammelten sich in Leipzig etwa 40.000 Querdenker*innen. Im Laufe des Abends durchbrachen Neonazis, Hooligans und rechte Kampfsportler die Polizeiketten und ermöglichten eine Demonstration auf dem Ring. Um, nach eigener Aussage, deeskalierend zu wirken, griff die Polizei nicht ein. Eine Gegenkundgebung, die wir unter anderem mitorganisiert hatten wurde gekesselt und abgefilmt. Als am Abend im Stadtteil Connewitz Barrikaden brannten, wurden vier Wasserwerfer und zwei Räumpanzer eingesetzt. Von Deeskalation war keine Rede mehr.
Ende November 2020 wurden während einer verbotenen Querdenker*innendemonstration in Leipzig Gegendemonstrant*innen mit Verweis auf die Infektionsschutzverordnung gekesselt und ihre Personalien aufgenommen. Die Teilnehmer*innen der verbotenen Demonstration blieben unbehelligt und wurden später zum Bahnhof geleitet.
„Cop-Culture“ verhindert Aufklärung
Die bekannt gewordenen oder skandalisierten Vorfälle und öffentlichen Äußerungen von Polizist*innen dürften nur die Spitze des Eisbergs sein. In Chatgruppen tauschen beziehungswseise tauschten Polizist*innen, Angehörige der Bundeswehr und Justiz, aber auch Verfassungsschützer*innen rassistische, faschistische, antisemitische, sexistische und homofeindliche Texte, Sprüche, Bilder und Filme aus. Chatgruppen existieren in allen Bundesländern. Das zeigt: Für viele Beamt*innen der „Sicherheitsbehörden“ ist der Austausch volksverhetzender und diskriminierender Inhalte normal.
Viele Vorfälle von Polizeigewalt und rassistischen, antisemitischen und sexistische Äußerungen und Diskriminierungen werden nicht öffentlich, geschweige denn angezeigt. Grund dafür ist die sogenannte „Cop-Culture“. Diese speist sich aus dem Korpsgeist, der die Beamt*innen eint. Polizisten sehen sich als eine Gefahrengemeinschaft, sie riskieren ihr Leben, da hält man eben auch zusammen, wenn einem „von außen“ Gefahr droht. Kommt ein Vorfall an die Öffentlichkeit, wird nicht das Problem eingestanden, sondern nach den „Verrätern“ und „Nestbeschmutzern“ gesucht. Auch in anderen Fällen verhindert die „Cop-Culture“ eine Aufklärung oder Strafverfolgung in den Reihen der Polizei. So sprechen viele Polizist*innen ihrer Aussagen vor Gericht ab oder decken sich gegenseitig. Strafbares Handeln oder justiziable Aussagen werden selten von Mitgliedern der Behörde zur Anzeige gebracht. Auf Anzeigen von „außen“, z.B. von Demonstrationsteilnehmer*innen reagieren die angezeigten Polizist*innen meist mit Gegenanzeigen. Vor Gericht wird ihren Aussagen dann zumeist mehr Glaubwürdigkeit zugebilligt als der Gegenseite. Zudem ermittelt bei Anzeigen gegen die Polizei die eigene Behörde. Diese Polizist*innen, wie auch die mit dem Fall betraute Staatsanwaltschaft ermitteln oft sehr zurückhaltend. Zu groß ist die Sorge das öffentliche Vertrauen in die Polizei zu erschüttern. Zudem sind die Stellen innerhalb der Polizei und ebenso die Staatsanwaltschaft auf eine gute Zusammenarbeit angewiesen. Und die soll auch nicht unter einer zu unachgiebigen Strafverfolgung leiden.
Auf dem rechten Auge blind
Auffällig ist, dass, wenn es zu Gerichtsverfahren kommt, Angehörige von Sicherheitsbehörden nicht oder nur zu geringen Strafen verurteilt werden. Mehr noch – mit der Verurteilung von rechten Straftaten im Allgemeinen lassen sich Gerichte oft viel Zeit. Zeug*innen können sich dann nicht mehr recht erinnern, Akten und Beweismittel verschwinden und das öffentliche Interesse lässt nach, was den Druck auf die Justiz verringert, für zeitnahe Konsequenzen und Aufklärung zu sorgen.
Beispielhaft steht hier die juristische „Nicht-Aufarbeitung“ des Überfalls auf Connewitz am 11. Januar 2016. Während an diesem Tag in der Innenstadt LEGIDA sein einjähriges Jubiläum feiert, ziehen etwa 300 Neonazis, Hooligans und Kampfsportler durch Connewitz, greifen vermeintliche Linke an und zerstören Autos und Geschäfte. Zweieinhalb Jahre später beginnen die ersten Prozesse. Die Justiz ist von der großen Zahl der Verfahren und Angeklagten überfordert. Die meisten Angeklagten werden zu Bewährungsstrafen verurteilt. Die Prozesse ziehen sich bis ins Jahr 2023. Die Aufklärung über rechte Netzwerke oder Drahtzieher des Überfalls spielt vor Gericht keine Rolle. (Einen ausführlichen Artikel über den Prozess gibt es in den Leipziger Zuständen 2021.) Viele der Angeklagten sind weiterhin in der rechten Szene aktiv.
Mit Kersten H. und Brian E. waren auch zwei Angehörige der sächsischen Justiz am Überfall beteiligt. Kersten H. wird im Februar 2022 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und vom Dienst suspendiert. Bis dahin tat er Dienst als Beamter im Leipziger und Bautzener Strafvollzug: Selbst das sächsische Justizministerium musste zugeben, dass er dort Kontakt zu Insassen gehabt haben könnte, mit denen er gemeinsam durch Connewitz marodiert war. Kersten H. war zeitweise auf eben jener Station eingesetzt, in der z.B. Phillip W. einsaß – ein Mitglied der rechtsterroristischen Gruppe Freital. Es lässt sich nur mutmaßen, wie intensiv der Austausch zwischen dem Rechtsextremen im Dienst der Justiz und seinen inhaftierten Kameraden war.
Der Rechtsreferendar Brian E. behauptete, nur zufällig in die Gruppe der Randalierer geraten zu sein und keine Verbindung zur rechten Szene zu haben. Dagegen sprachen aber szenetypische Kleidung, Hakenkreuz-Tattoos und Fotos, die ihn mit Mitgliedern der Identitären Bewegung zeigen. Obwohl er Berufung einlegte, wurde er letztendlich wegen schweren Landfriedensbruchs zu anderthalb Jahren auf Bewährung verurteilt. Im Mai 2020 entscheidet das Oberlandesgericht Dresden, dass Brian E. seinen Referendariatsdienst fortsetzen darf. Nur der Umstand, dass er sein zweites Staatsexamen trotz mehrmaliger Versuche nicht bestanden hatte, verhindert einen weiteren rechten Juristen.
Rechte Kommandos
Rechte Umtriebe, Netzwerke und Sympathien für rechte Taten sind wir nicht nur bei Polizei und Justiz, sondern auch bei Angehörigen der Bundeswehr zu finden. So werden im Mai 2020 im Wohnhaus des Oberstabsfeldwebel Philip Sch., Angehöriger des Kommando Spezialkräfte (KSK) in Nordsachsen Sprengstoff und rechtsextreme Schriften gefunden. Im Garten hatte der damals 46-Jährige zudem Munition, sowie Waffen- und Waffenteile vergraben. Im März 2021 wurde er zur milden Strafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Eine extrem rechte Gesinnung konnte der Richter nicht ausmachen. Zudem folgte er der Argumentation von Sch., er habe die Munition versteckt, um Engpässe bei der Schießausbildung zu überbrücken.
Philip Sch. war Teil der 2. Kompanie des KSK und bei dessen Standort in Calw (Baden-Württemberg) stationiert. Mitglied seiner Einheit war auch André S. alias Hannibal, der ein rechtes Preppernetzwerk gründete. Die Mitglieder des Netzwerks horteten nicht nur Dosennahrung, sondern sollen laut Beobachtern einen gewaltsamen Umsturz und die Liquidierung politischer Gegner geplant haben. Bei der Abschiedsfeier für ihren Chef 2017 wurde mit Schweineköpfen geworfen. Dabei soll auch Rechtsrock gehört und der Hitlergruß gezeigt worden sein. Der Kommandeur der Elitetruppe ordnete im April 2020 an, dass bis Mai desselben Jahres die Angehörigen der Truppe gehortete und womöglich auch gestohlene Munition straffrei zurückgeben konnten. Philip Sch, nahm das Angebot nicht an. Hätte er es getan, wäre er heute wahrscheinlich weiterhin Soldat der Spezialkräfte. Die 2 Kompanie des KSK wurde wegen der Skandale von der damaligen Ministerin Kramp-Karrenbauer im Sommer 2020 aufgelöst. 48.000 Schuss Munition und 62 Kilogramm Sprengstoff sollen weiterhin verschwunden sein.
Die Preppergruppe Zuflucht
Im Juni 2020 wurde durch Recherchen der Plattform Sachsen-Anhalt Rechtsaußen und der taz eine rechtsradikale Preppergruppe mit dem Namen “Zuflucht Beuden” in Sachsen aufgedeckt, die sich seit 2015 auf einen „Rassenkrieg“ vorbereitete. Unter den Mitgliedern sind zahlreiche Angehörige der Bundeswehr sowie der Leipziger Burschenschaft Germania, auch ein Sozialpädagoge, ein Zahnarzt und ein Steuerberater finden sich darunter.
Auf Facebook diskutierte die Gruppe, wie man Waffen besorgen und Geflüchtete töten könne. Man verabredete sich zu Schießübungen und half sich gegenseitig dabei, gefälschte Waffenscheine zu besorgen. Die Schießübungen wurden in einer stillgelegten Schießhalle in Sachsen-Anhalt durchgeführt. In den Chats finden sich zahlreiche rechtsradikale, rassistische und antisemitische Äußerungen.
Neben der Bundeswehr hat die Gruppe offenbar auch Verbindungen zur Justiz: Eine Mail, in der vom Angriff auf eine Politikerin die Rede war, ging auch an den Leipziger Staatsanwalt, Axel Knoll, ebenfalls Mitglied der Burschenschaft Germania. Mittlerweile ist er Richter am Landgericht Leipzig und soll die Burschenschaft verlassen haben.
Mindestens zwei Mitglieder der Gruppe sind oder waren für die AfD-Fraktion bzw. einzelne Abgeordnete im Bundestag tätig.
Ein im Sommer 2020 aufgenommenes Ermittlungsverfahren in Sachsen-Anhalt wurde bereits im Oktober wieder eingestellt, weil ein Großteil der Beschuldigten in Sachsen wohnen soll. Die Staatsanwaltschaft Leipzig prüft derzeit die Aufnahme von Ermittlungen.
Unabhängigkeit und Entmachtung
Die hier ausschnittsweise beschriebenen Skandale und Vorfälle zeigen einerseits, dass die Mär der Einzelfälle eine Schutzbehauptung ist. Politisch Verantwortliche weigern sich anzuerkennen, dass Justiz, Polizei und Militär von rechten Netzwerken durchzogen sind. Einzelne Polizist*innen oder Soldat*innen vom Dienst zu entfernen oder zu Disziplinarstrafen zu verurteilen dient alleine dazu, die sogenannten Sicherheitsbehörden gegen umfängliche Kritik zu immunisieren.
Andererseits wird klar, dass diese Institutionen keine Sicherheit bieten. Vor allem nicht-weiße und/oder marginalisierte Menschen sind von Polizeigewalt betroffen. Politische Gegner*innen landen auf Todeslisten (ehemaliger) Militärs. Verfahren gegen Neonazis werden verschleppt und sabotiert.
Es braucht zuerst und schnell unabhängige Beschwerdestellen. Ermittlungen gegen die Polizei müssen von nicht-polizeilichen Beamt*innen durchgeführt werden. Um ein klares Bild über Einstellungen und Arbeit in diesen Behörden zu bekommen, müssen unabhängige Studien durchgeführt werden, die nicht nur Polizist*innen befragen, sondern Vorgehen und Handeln in den Behörden analysieren. Kommissionen und Ausschüsse dürfen nicht aus pensionierten Beamt*innen zusammengesetzt sein. Diese reale Kontrolle könnte über zivilgesellschaftliche Räte gewährleistet werden, die über eigene Strukturen und umfangreiche Befugnisse verfügen.
Die „Sicherheitsbehörden“ haben zu viele Befugnisse und Aufgaben, für deren Lösung sie oft gar nicht qualifiziert sind. Probleme und schwierige Situationen werden so durch ihr Handeln verschärft oder gar erst erzeugt. Deutlich wird das an den zahlreichen Toten bei Polizeieinsätzen der letzten Monate und am unqualifizierten, gewaltvollen Umgang mit Drogenabhängigen, Obdachlosen und psychisch Erkrankten. In diesen und vielen anderen Bereichen braucht es einen neuen Ansatz, keinesfalls aber einen polizeilichen. Auch die Inlandsgeheimdienste haben seit ihrer Gründung immer wieder auf dramatische Weise bewiesen, dass sie nicht willens und in der Lage sind, die Gesellschaft zu informieren und zu schützen. Ersetzt werden könnten sie durch öffentlich-rechtliche, wissenschaftliche Institute, die reaktionäre Bewegungen im Inland analysieren und darüber informieren. Eine Maßnahme wäre also, die Aufgaben der „Sicherheitsbehörden“ schrittweise an die Gesellschaft zu übergeben. Struktur, Korpsgeist und rechte Kontinuität deutscher „Sicherheitsbehörden“ lassen sich anders nicht auflösen.
Antifa-AG der Interventionistischen Linken Leipzig