Die Coronaproteste in Leipzig – Eine heterogene Mischung selbsternannter Querdenker_innen

/ November 1, 2020

​Die erste Coronaschutzverordnung war in Sachsen gerade zwei Wochen alt, da fanden sich auch in Leipzig Menschen zusammen, die hier etwas bewegen wollten. Was genau, war und blieb diffus, da es sich um eine unübersichtliche und heterogene Bewegung handelte, die seit März 2020 über einhundert Veranstaltungen durchführte. Die Formate waren hierbei ganz unterschiedlich und reichten von Spaziergängen, über klassische Demonstrationen, Meditationen bis hin zu Tanz- und Diskussionsrunden im Park. Dieser Artikel soll einen kurzen Überblick über die Entwicklung der „Coronademos“ in Leipzig geben.

Ein Gastbeitrag von Christoph Hedtke und Julia Fröhlich

Spazieren und meditieren gegen den Lockdown

In Leipzig knüpfen Protestinitiativen immer wieder an das Narrativ der „Friedlichen Revolution“ an. So auch der Protest gegen die Infektionsschutzmaßnahmen, der sich ebenfalls in die Tradition der Montagsdemos zum Ende der DDR stellte. Seit dem 4. Mai traf sich immer montags eine lose Gruppe, die dann von der Nikolaikirche oder dem Augustusplatz gemeinsam durch die Leipziger Innenstadt zog.
Um die Ausgangs- und Versammlungsbeschränkungen zu umgehen, nannte man dies Spaziergang. Die Ordnungsbehörden zeigten sich von der Ansammlung jede Woche aufs Neue überrascht. Durch die Abwesenheit von Plakaten oder Parolen, war dieser Protestmarsch in den ersten Monaten jedoch von außen kaum als ein solcher zu erkennen. Für einige der selten mehr als 30 Teilnehmenden, von denen einige schon bei LEGIDA dabei waren, war dies der einzig wahre Widerstand, da die Versammlungen zumindest vorerst nicht angemeldet wurden.
Eine weniger bewegte Form des Protests waren die Meditationen auf dem Augustusplatz, zu denen ein rechter Kampfsportler mobilisierte. Angelehnt an die „Ignorance Meditations“ in Berlin, trafen sich hier bis zu 40 Personen um sitzend gegen die vermeintliche Ignoranz der Politik zu „meditieren“. Auch hier war für Außenstehende das Anliegen des Events nur schwer ersichtlich.
Mit der schrittweisen Aufhebung der Maßnahmen zum Infektionsschutz verloren diese Veranstaltungen an Zulauf. Zwar fanden bis November etwa 25 der Spaziergänge und sechs „Meditationen“ statt, jedoch ohne größere Mobilisierungserfolge, weitere Öffentlichkeit und langfristige Vernetzung. Etwas anders sieht es bei der selbsternannten „BewegungLeipzig“ aus.

Querdenken in Leipzig

Ebenfalls in eine Linie mit den Demonstrationen von 1989 stellte sich eine Gruppe, die am 26. April an der Nikolaikirche ihre erste Veranstaltung durchführte. Gegründet als Leipziger Ableger von „Nicht ohne uns“ (NOU) distanzierte sich diese Gruppe Ende April jedoch von ihrem Berliner Vorreiter. Während Einzelne die fehlende Abgrenzung von rechten Vereinnahmungsversuchen und vor allem von Ken Jebsen als Gründe nannten, wollten sich Andere von NOU-Berlin lösen und „allein“ weitermachen, da sie deren Bestrebungen als Weg in den Sozialismus sahen.
Auf der Suche nach einem neuen Namen gab es verschiedene Vorschläge, die bereits etwas über die heterogene Zusammensetzung der Gruppe erahnen ließen. So reichten diese von „Menschheitsfamilie Leipzig“, über „Patriotische Plattform Leipzig“ bis hin zum QAnon-Slogan „WWG1WGA Leipzig“. Schließlich benannte man sich in „BewegungLeipzig“ (BL) um. In Anlehnung an die Stuttgarter Querdenken-Initiative folgte im September der Namenszusatz „Querdenken-341“.
Über mehrere Monate hinweg versuchte die BL mehrmals in der Woche mit verschiedenen Protestformen auf sich aufmerksam zu machen und Menschen zu vernetzen. So mobilisierte man nicht nur samstags zu Kundgebungen auf den Vorplatz der Nikolaikirche und später auf den Marktplatz sondern auch dienstags zu „Corona-Debatten“ auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz und sonntags zu Diskussionsrunden mit dem Titel „Forum der Veränderung“ und Tanzdemos in den Volkspark Kleinzschocher.
Anfänglich gab es bei den Veranstaltungen in der Innenstadt noch offene Mikros. Dies führte aber dazu, dass in Redebeiträgen immer wieder auch antisemitische und rassistische Positionen, Verschwörungserzählungen und Reichsbürgermythen öffentlich verbreitet und beklatscht wurden. Das löste zumindest bei einzelnen Organisator_innen Unbehagen aus. Sicherlich nicht zuletzt auch, weil die BL durch Gegenprotest und mediale Berichterstattung [1] zunehmend öffentlich wahrgenommen und kritisiert wurde [2].
Die Reaktion war, dass Redebeiträge künftig angemeldet werden mussten, Fahnen von den Veranstaltungen verbannt und die Chatfunktion in der Telegramgruppe geschlossen wurden. Eine ernstzunehmende kritische Auseinandersetzung oder gar glaubwürdige Distanzierung blieb jedoch aus.
Im Sommer vernetzte sich die BL zunehmend mit anderen Gruppierungen. Innerhalb des Netzwerkes „Bewegung Mitteldeutschland“ unterstützte man sich nun gegenseitig bei den Veranstaltungen, was den Rückgang der Teilnehmenden allerdings nur teilweise kompensierte. Bundesweit knüpfte man Kontakte, vor allem mit anderen „Querdenken“-Gruppierungen, und organisierte Busfahrten zu den großen Demonstrationen in Berlin. Ein Mitglied der BL war dort auch wiederholt Anmelder der Versammlungen am Brandenburger Tor.

Telegram als Bewegungskatalysator

Im Zusammenhang mit den Protesten war zu beobachten, dass die zunehmende Verbreitung von Messengerdiensten, insbesondere Telegram, eine zentrale Rolle spielte und damit andere Plattformen in ihrer Bedeutung für rasante Mobilisierung und Netzwerkbildung sowie ungehinderten Austausch zunehmend ablöste.
Im April wurden binnen kürzester Zeit beispielsweise allein für Sachsen über 20 Lokalgruppen unter dem Label „Corona-Rebellen“ gegründet. Auch in Leipzig gab es bald schon mehrere anfänglich schnell wachsende Gruppen und Kanäle, die teilweise unter eigenen Namen liefen, von Einzelpersonen betrieben wurden und nicht unbedingt festen Gruppen zuzuordnen waren.
Sie dienten zum einen der Mobilisierung für die unterschiedlichen Protestveranstaltungen und zum anderen auch zum Austausch beispielsweise darüber, wo man ohne den häufig als „Maulkorb“ oder „Sklavenmaske“ bezeichneten Mund-Nasen-Schutz eingekauft hat oder bahngefahren ist. Welche Praxis Atteste ausstellt oder wie man den Coronatest in der Schule der Kinder umgehen kann.
Außerdem fanden diejenigen, die sich in dieser Zeit zunehmend von herkömmlichen Medien abwandten, hier neue „alternative“ Informationskanäle, die beispielsweise über die angeblich „wahren“ Motive von Jens Spahn und Bill Gates berichten. Während man auf der einen Seite dem vermeintlichen „Establishment“ oder der „Elite“ gezielte Desinformation vorwirft und betont die Dinge zu hinterfragen, vertraut man gleichzeitig blind den noch so absurdesten Nachrichten anonymer Chatteilnehmer_innen.
Mit der Zeit nahmen die Chatverläufe recht unterschiedliche Entwicklungen. In Kanälen ohne oder mit nur geringer Moderation dominierten binnen kurzer Zeit unzählige Videos und Sharepics unter anderem über den vermeintlichen Besatzungsstatus Deutschlands oder antisemitische Verschwörungsmythen, so dass Diskussionen und Veranstaltungsankündigungen eher untergingen.
In anderen lokalen Gruppen unterband man zunehmend das Teilen externer Inhalte und setzte mehr auf Austausch und Mobilisierung. Zudem wurde schon bald antizipiert, welche Inhalte von einer Öffentlichkeit als problematisch aufgefasst werden könnten. Diese wurden gelöscht, ohne dass jedoch eine inhaltliche Auseinandersetzung oder gar Distanzierung erfolgte. Wiesen Chatteilnehmende in Diskussionen auf kritische Inhalte hin, wurden ihre Posts und Accounts oft gleich mit entfernt.

Was bewegt die „Bewegung“?

Auch nach Besuch zahlreicher Versammlungen und langer Beobachtung von Chatverläufen, ist nur schwer zu beantworten, was die sich dort zusammenfindenden Menschen bewegt und vor allem, was sie verbindet. Denn im allgemeinen Unmut haben sich viele sehr unterschiedliche Akteur_innen mit unterschiedlichsten Motiven und ohne einheitliche Ideologie auf den Straßen Leipzigs und in der digitalen Welt zusammengefunden, so dass eine Beschreibung der Proteste mit den gängigen Labels immer unzureichend ist.
Unseres Erachtens eint sie insbesondere die politisch-kulturelle Entfremdung und das Unbehagen mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, welches befeuert wird durch fundamentales und teilweise schon feindseliges Misstrauen in etablierte politische Institutionen, Medien und Wissenschaft. Diesem Misstrauen liegt nicht selten geringes oder völlig verqueres Verständnis davon zu Grunde, wie diese Institutionen arbeiten und strukturiert sind. Diese Gemengelage kombiniert mit einem Un- oder zumindest Missverständnis komplexer gesellschaftlicher Prozesse ist dann auch wegbereitend für teilweise wahnhafte Annahmen hinsichtlich dunkler Kräfte, die im Hintergrund alles steuern würden, womit dann plötzlich alles mögliche „erklärbar“ wird.
Sind dieses Misstrauen, Unverständnis und komplexitätsreduzierende Verschwörungsgeraune ausreichend verinnerlicht, ist die Basis dafür gelegt, dass aus der diffusen Sorge vor staatlichen Eingriffen in das eigene Leben eine manifeste Furcht vor der vermeintlich nahenden oder gar bereits errichteten „Coronadiktatur“ werden kann, die wahlweise an den Nationalsozialismus oder die DDR erinnere. So lässt ein Gründungsmitglied der BL verlauten: „Wir werden bedroht mit Handytracking, Überwachung mit Drohnen, Identitätsnachweis und Zwangsimpfung. Wir wurden eingesperrt.“ Ein anderer BL-Mitbegründer stellt fest: „Über Nacht sind wir in einer Diktatur aufgewacht.“ Andere zogen Parallelen zwischen den Infektionsschutzmaßnahmen und den Ermächtigungsgesetzen der Nazis von 1933.
Neben denjenigen, die vordergründig durch den Unmut über die Infektionsschutzmßanahmen und deren Ablehnung getrieben sind, beteiligten sich aber auch zahlreiche, die bereits zuvor eine politische Agenda hatten. Diese versuchten, die Mobilisierungen und Vernetzungen sowie die Untergangs- oder wahlweise auch Erweckungserzählungen für sich zu nutzen und gezielt demokratische Institutionen zu delegitimieren und zu schwächen. Darunter einige, wenn auch zumindest in Leipzig nicht viele, Akteur_innen der extremen Rechten.
Doch da in der verzerrten Realitätswahrnehmung die vermeintlich drohende Gefahr als so groß angesehen wird, scheinen selbst diejenigen in dieser „Bewegung“, die sich selbst eher als liberal oder gar links verstehen würden, bereit, sich mit allen politischen Lagern und damit auch demokratie- und menschenfeindlichen Akteur_innen zu verbünden. Grundlegende inhaltliche Differenzen und somit auch Widersprüche werden ausgeblendet, Kritik als Spaltungsversuche diskreditiert.

Fazit

Auch wenn es anfänglich noch anders schien, wurde im Laufe der Zeit deutlich, dass die Proteste in Leipzig zwar Ausdauer bewiesen, jedoch zumindest vor Ort keine größeren Mobilisierungserfolge und mediales Echo erzielen konnten. Die wöchentlichen Versammlungen waren somit in erster Linie ein Soziales Event für die Teilnehmenden, ohne dass trotz beachtlichen Ressourcenaufwandes eine ernstzunehmende Öffentlichkeit erreicht wurde. Passant_innen wurden nur mäßig interessiert und man sprach eher unter sich und beklatschte das, was man sowieso meinte zu wissen.
Doch auch wenn auf Leipzigs Straßen zunehmend weniger Menschen zusammenkamen, sollten die Folgen der Mobilisierung und vor allem der Vernetzung nicht unterschätzt werden. So wurden vor Ort und in der virtuellen Welt Netzwerke gebildet, die zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise wieder aktiviert werden können. Zudem fördern diese schon jetzt eine massive Verbreitung von Fehlinformationen, Verschwörungserzählungen und menschenverachtenden Ideologien, was bereits zur Radikalisierung Einiger in dieser Bewegung geführt hat.
Nicht zuletzt haben wir es hier mit einer Strömung zu tun, die die individuelle Freiheit über die anderer stellt und sich dabei als Beschützerin einer freien Gesellschaft sieht. Die mantraartige Rede von Freiheit und Liebe verschleiert hierbei die mangelnde Solidarität und den menschenverachtenden Individualismus.

[1] https://www.lvz.de/Leipzig/Lokales/Corona-Proteste-in-Leipzig-Ich-dachte-So-ist-eine-totalitaere-Diktatur
[2] https://platznehmen.de/bewegung-leipzig-nichtohneuns/

Autor_inneninfo:
Christoph Hedtke ist freier (Foto-)Journalist und arbeitet derzeit vor allem zur extremen Rechten und zu Coronaprotesten in der Region Leipzig.
Julia Fröhlich ist Naturwissenschaftlerin und interessiert sich (privat) für rechte Netzwerke und deren Dynamiken.

Der Text ist eine digitale Vorabveröffentlichung und erscheint gedruckt in den Leipziger Zuständen im Januar 2021.

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