Redebeitrag Kundgebung „Kein Viertel für Nazis“
Anlässlich zunehmender neonazistischer Aktivitäten veranstalteten Antifaschist_innen am 24.04.2021 im Leipziger Stadtteil Stötteritz eine Kundgebung. Wir beteiligten uns mit einem Redebeitrag welchen wir im Folgenden dokumentieren.
Vergangenes Jahr haben wir mehr als zwanzig Ereignisse für den Stadtteil Stötteritz gemeldet bekommen. So viele wie nie zuvor. Darunter fallen Hitlergrüße, eine Vielzahl an neonazistischen Stickern, Identitären-Flyer und Graffitis aber auch gezielte Angriffe. Mehrfach wurden Personen, die Nazisticker abmachten oder überklebten, angegriffen. Das Auto eines vermuteten Linken wurde in den Farben der Reichsfahne vollgesprüht und engagierten Stötteritzer_innen, die Neonazis widersprachen als diese Naziparolen riefen, wurde die Haustür eingetreten, ihre Briefkästen demoliert und ihr Haus am Folgetag beobachtet.
Das war ein enormer Anstieg diskriminierender Ereignisse und Angriffe gegenüber dem Jahr 2019 als wir sechs Ereignismeldiungen für Stötteritz registrierten.
Und auch 2021 verheißt keine Verbesserung – bereits jetzt, also Ende April – sind 16 Ereignisse bekannt. Die Jungen Nationalisten – die Jugendorganisation der NPD – fallen mit großflächigen Sticker und Flyeraktionen auf. Für den 13. Februar versuchten sie zum geschichtsrevisionistischen Naziaufmarsch nach Dresden zu mobilisieren. Bereits zwei mal wurden Personen körperlich bedroht oder geschlagen, als sie Sticker entfernten oder antifaschistische Sticker anbrachten. Wie uns berichtet wurde, sind auch die Plakate für diese Kundgebung in Gänze abgerissen worden oder mit dem Kürzel NS-Zone also »Nationalsozialistische Zone« übersprüht worden.
In den Jahren zuvor sieht unsere Dokumentation für den Stadtteil allerdings eher spärlich aus. Dabei fragen wir uns: Sind diese Zustände für Stötteritz etwas Neues? Wir wissen es nicht. Vom Standpunkt unserer Dokumentation könnten wir von einer deutlichen Zunahme an Angriffen und Propagandadelikten sprechen. Das nahegelegene Völkerschlachtdenkmal ist seit langem Anziehungspunkt für Deutschlands neue Nazis. Die Jungen Nationalisten nutzten es in den vergangenen zwei Jahren mehrfach als Aktionsort und Mobilisierungsmotiv.
Mitglieder der Identitären Bewegung nutzen die Straßen von Stötteritz als Instagram-Kulisse und bekleben den Stadtteil sowie die Prager Straße mit ihrer menschenfeindlichen Propaganda. Der Weißeplatz ist für BIPoc, Frauen* und Antifaschist_innen und Andersdenkende aufgrund der rechtsoffenen Trinkerszene ein Ort, der gemieden wird. Häufig schon verherrlichten diese Männer dort den Nationalsozialismus, bepöbelten Vorbeikommende oder gingen sie an. Auch gibt es Hinweise auf den Zuzug junger Neonazikampfsportler.
Gleichzeitig könnte es aber auch sein, dass die Zustände schon lange diese sind und erst jetzt eine Aufmerksamkeit dafür geschaffen wird. Dass viele Stötteritzer_innen mit den alten und neuen Neonazis Tür an Tür leben steht für uns außer Frage. Die Frage ist vielmehr – wie verhalten sie sich dazu?
Nach dem Angriff auf eine Unterkunft für Geflüchtete im Jahr 2015 gründete sich eine Bürger_inneninitiative, mit dem Ziel die Schutzsuchenden zu unterstützen. Aber auch um ein anderes Bild ihres Stadtteils zu präsentieren. Das Problem war damals nicht zu leugnen und der Handlungsbedarf offensichtlich.
Diese Einsicht sollte schon da sein, bevor die Unterkünfte brennen. Wenn Leute angesichts der aktuellen Lage meinen, das Problem seien Antifaschist_innen, weil durch diese erst die Problematik offenbar wird, irren sie. Weder handelt es sich dabei um ein Katz-und-Maus-Spiel unter Jugend- oder Subkulturen noch ist Antifaschist_innen an einer Zuspitzung gelegen. Durch unsere Erfahrung in der Dokumentationsarbeit wissen wir: Von Rassismus Betroffene und/oder Antifaschist_innen sind oft die ersten, die bemerken wenn sich neonazistische beziehungsweise faschistische Gruppierungen oder Einzelpersonen radikalisieren und organisieren, was wir im Falle von Stötteritz für nicht unwahrscheinlich halten. Wir müssen ihnen Gehör schenken, uns mit ihnen solidarisieren und sie unterstützen. Im Aufruf zu dieser Kundgebung steht „Antifaschistische Arbeit hat viele Facetten – seid Teil davon“. Das können wir nur ausdrücklich unterstützen.
Falls ihr von diskriminierenden Ereignissen oder Propaganda in Stötteritz, Leipzig oder den umliegenden Landkreisen mitbekommt, meldet das an uns. Vielen Dank und siempre Antifa.