Interview mit Jana, beteiligt am Gedenken an Nuno Lourenço

/ Januar 18, 2020

Am 04. Juli 2019 fand auf dem Bahnhofsvorplatz in Markkleeberg-Gaschwitz eine Gedenkveranstaltung für Nuno Lourenço statt. Dieser wurde 1998 von acht Neonazis nach einem verlorenen Deutschlandspiel so schwer verprügelt, dass er an den Spätfolgen des Angriffs verstarb. Am Lernwelten-Gymnasium Großdeuben beschäftigte sich eine Gruppe Schüler_innen im Rahmen einer Projektwoche mit dem Mord und organisierte die Gedenkveranstaltung. Interview mit einer der beteiligten Schüler_innen.

War dir der Mord an Nuno Lourenço schon vor dem Projekt bekannt?
Tatsächlich nicht, ich hatte persönlich noch nichts davon gehört. Unsere Geschichtslehrerin hat uns davon erzählt und vorgeschlagen den Mord mit Martin Haufe, einem Künstler und Martin Baumert, einem Historiker gemeinsam aufzuarbeiten.

Was sagst du aus heutiger Perspektive zur Tat?
Ich finde es echt beängstigend, dass das in so einer Nähe passiert ist. Es waren ja einige Täter, die auf Nuno Lourenço eingeprügelt haben und die auch teilweise noch in der Nähe wohnen.
Ich finde es auch beängstigend, dass wir in einer Gesellschaft leben in der das [Rassismus, A. d. I.] noch so eine große Rolle spielt. Dass das noch so oft ein Thema ist macht mich traurig und hat mich sehr beschäftigt. Weil man eben oft davon hört, aber selten damit so nah in Berührung kommt.

Wie ging es deinen Mitschüler_innen?
Ähnlich. Also am Anfang haben wir das ja etwas größer gefasst: Was ist eigentlich Rassismus und Diskriminierung und was ist der Hintergrund solcher Fälle. Das hat uns schon auch ein Stück weit mitgenommen. Man hört immer davon, aber ist ja dann doch nicht davon betroffen. Und sich thematisch da so einzuarbeiten, das hat nochmal andere Emotionen ausgelöst. Es gab dann einen anderen Bezug zum Thema würde ich sagen.
Wir waren alle total geschockt, weil es so in unmittelbarer Nähe zur Schule passiert ist und dass wir davon noch nichts mitbekommen haben. Dass hat uns doch sehr schockiert.
Was uns noch sehr überrascht hat, waren die geringen Strafen die es für die Täter gab. Das war für uns sehr unangemessen und somit beängstigend.

Wie seid ihr auf die Menschen gekommen mit denen ihr das Projekt umgesetzt habt?
Unsere Lehrerin hat das in die Hand genommen, zusammen mit Martin Haufe und einem Martin Baumert zu schauen, was man dazu machen könnte.
Einerseits war die Idee den Fall aufzuarbeiten und andererseits zu schauen, wie kann man vielleicht daran erinnern – weil es ja eben vor Ort auch nichts gibt, was an den Tod von Nuno Lourenço erinnert.
Dann waren da eben diese historische Seite und diese kreative Seite, also wie man da jetzt eine Erinnerung schaffen kann. Dann ging‘s eben darum das ein bisschen zu strukturieren und in der Woche aufzuarbeiten, kreativ zu werden und aber auch allgemein nochmal über Rassismus zu reden.

Wie war es für dich in der Projektwoche dazu zu recherchieren?
Es war auf jeden Fall sehr spannend, also die ganze Thematik und dazu in den Austausch zu kommen. Es war auch super interessant, die ganzen vorhandenen Quellen anzuschauen und zu analysieren, aber es gab eben nicht sehr viele. Es gibt auch einige Sachen, die wir nie so richtig herausgefunden haben oder die auch unterschiedliche berichtet wurden und nicht ganz eindeutig sind – auch das war ganz interessant.

Was für Quellen habt ihr euch denn angeschaut?
Wir haben mit Zeitungsartikeln gearbeitet und uns Gerichtstexte angeschaut. Das alles aus der Zeit [des Mordes] und dann vor allem noch Sachen aus späteren Jahren, die dann rückblickend auf den Fall geschaut haben. Es gab ja auch vor uns schon Initiativen, die den Fall aufgearbeitet haben und auch von denen haben wir Quellen genutzt.
Wir waren auch im Hygienemuseum zu einer Ausstellung die sich nochmal mit dem Phänomen Rassismus beschäftigt hat.

Wie lief die Erarbeitung und Zusammenarbeit in eurer Gruppe?
Wir waren am Anfang tatsächlich keine große Gruppe. In der Projektwoche gab es verschiedene Projekte, die man wählen konnte – ich glaube, dass viele erst mal nicht wussten, worauf das hinausläuft. Wir haben uns dann aber in der kleinen Gruppe sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt. Später haben sich dann auch andere Schüler_innen beteiligt und nicht nur die, die ursprünglich im Projekt waren.

War von Anfang an klar was am Ende des Projektes herauskommen sollte?
Nein. Wir haben uns zuerst angeschaut was so vorliegt und waren dann auch am Tatort – das ist ja nicht weit von der Schule entfernt – und haben uns das dort angeschaut. Dann haben wir überlegt, was man an dem Ort machen könnte, um daran zu erinnern was da passiert ist. Wir hatten viele Ideen.
Wir haben Plakate gestaltet auf denen die Informationen zur Tat drauf waren und haben die dann auch in einem Glaskasten relativ nah am Tatort aufgehängt. Die Stadt Markkleeberg hat sich nicht bereit erklärt, es ein ganzes Jahr dort hängen zu lassen, aber das Quartiersmanagement hat das dann übernommen. Weiterhin haben wir Sticker entworfen und dann drucken lassen.
Es gab auch noch die Idee an der Stelle eine Gedenkbank zu installieren. Darüber wird gerade mit der Stadt Markkleeberg gesprochen, die deswegen gerade in Kontakt mit der Deutschen Bahn ist, soweit ich das weiß, weil es das Gelände der DB ist. Das heißt, dass dort eventuell auch eine Gedenkbank hinkommt.
Eine noch etwas utopischere Idee von uns war ein Graffiti von Nuno Lourenço an die Schallschutzmauer der S-Bahn anzubringen. Tatsächlich ist das auch noch nicht komplett rausgeworfen worden.
Schön ist an diesen konkreten Sachen zu sehen, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema nicht vorbei ist, sondern Dinge weitergetragen werden.

Kannst du noch einmal schildern was ihr eigentlich bei der Gedenkveranstaltung gemacht habt?
Wir haben am 04. Juli 2019, also am Tag von Nuno Lourenços Geburtstag und auch am Tag an dem er 1998 zusammengeschlagen wurde, eine Gedenkveranstaltung gemacht. Das war ziemlich nah am Tatort. Uns war es wichtig, nochmal an das Geschehene zu erinnern. Wir wollten auch erzählen, was wir gemacht haben und als Schüler_innen dazu Stellung beziehen. Zur Veranstaltung haben wir dann verschiedene Leute eingeladen.
Das wird auf jeden Fall auch weitergeführt. Die Stadt Markkleeberg hat sich dafür eingesetzt, dass es auch 2020 wieder eine Gedenkveranstaltung mit Workshop geben wird.

Hast du Reaktionen zu eurer Veranstaltung mitbekommen?
Ich habe tatsächlich eigentlich nur positives Feedback bekommen. Ich sag mal so: Menschen die das kritisch sehen waren ja vermutlich auch nicht bei der Veranstaltung. Aber es würde mich tatsächlich interessieren, was andere dazu sagen. Ich finde es ein bisschen Schade, dass da der Austausch nicht so weit ging. Man hat es von den Menschen mitbekommen die auf einen zu kamen, sonst nicht so.

Hinweis: Der Name der Interviewten wurde geändert.

Nuno Lourenço wird nur 49 Jahre alt. Am 4. Juli 1998, seinem 49. Geburtstag, wird er von acht Neonazis so stark misshandelt, dass er am 29. Dezember 1998 an den Folgen seiner schweren Verletzungen stirbt. Nuno Lourenço hält sich in Gaschitz nahe Markkleeberg auf, um als Zimmermann beim Bau des MDR-Geländes zu arbeiten. Nach einem verlorenen Spiel der Fußball-WM des deutschen gegen das kroatische Team zieht eine Gruppe von acht Neonazis mit Eisenketten bewaffnet los, um ihren Frust über die „Niederlage“ an „Ausländern“ auszulassen. Als sie Nuno Lourenço und seine Kollegen erblicken, greifen sie diese an und schreien: „Blöde Ausländer, Scheiß-Ausländer, verpisst euch.“ Die Kollegen von Nuno Lourenço können entkommen, er wird jedoch so stark gewürgt, dass er zu Boden geht. Dort liegend treten die Täter mehrmals mit Stahlkappenschuhen gegen seinen Kopf. Das Landgericht Leipzig wertet die Tat lediglich als Körperverletzung mit Todesfolge. Der Hauptangeklagte Andreas S., wird zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, die Mitangeklagten im Alter von 15 bis 20 Jahren erhalten Bewährungsstrafen. Der Vorsitzende Richter Norbert Göbel, lässt die Witwe Noemia Lourenço auf den immensen Kosten der Nebenklage sitzen. Den Tätern hingegen werden die Prozesskosten nicht auferlegt und erst nach überregionaler Berichterstattung erfolgt der Haftantritt des Haupttäters, da der Richter „vergisst“, den Haftantrittstermin festzulegen. Nuno Lourenço wird erst zehn Jahre nach dem Mord offiziell als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.

Eine Übersicht zu Todesopfern rechter Gewalt in und um Leipzig findet sich hier.

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